Im Folgenden möchte ich 6 Fachbegriffe, die häufig im Zusammenhang mit „Digitalisierung der Bildung“ auftauchen, etwas genauer erläutern. Dies soll multiperspektivisch erfolgen, da ich sowohl meine tägliche Unterrichtspraxis als Lehrkraft in Abiturklassen als auch eine theoretisch-didaktische Sichtweise heranziehe. Egal ob Laie oder Experte, alle sind sich einig, dass das Lernen in Bildungseinrichtungen weiterentwickelt werden muss.

Die 6 wichtigsten Begriffe zu Digitalem Lernen erklärt / StellDirVor

Über den Autor:

Christian Stähler ist erfahrener Gymnasiallehrer und Bildungspionier, er unterrichtet aktuell Abiturklassen an einer Beruflichen Oberschule für Gesundheit und Soziales. Sein Know-how bringt er bei StellDirVor als CLO ein.

Hybridunterricht

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Schließungen von Klassen und ganzen Schulen haben dazu geführt, dass der „Unterricht“ mittels Video-Konferenz-Tools als „Distanz- oder Fernunterricht“ angeboten wurde und wird. Reinen Distanzunterricht führe ich seit Herbst  wochenlang für die Schüler:innen der 11. Jahrgangsstufe durch. Diese Schüler:innen dürfen durch ad-hoc-Entscheidungen der Behörden immer wieder nicht in die Schule kommen und nehmen dann über ein Video-Konferenz-Tool am Unterricht in den verschiedenen Fächern teil.
Die Abschlussklassen wurden hingegen in 2 Gruppen aufgeteilt, sodass jeweils immer eine Gruppe an mehreren Wochentagen „Präsenzunterricht“ hat. Hierfür wurde immer wieder der Begriff „Hybridunterricht“ verwendet. Nicht ganz zu Unrecht, denn die Lehrkraft steht im Klassenzimmer vor Schüler:innen und sorgt über Kamera, Mikrofon und Dokumentenkamera bzw. Live-Streaming und den Upload benötigter Dateien dafür, dass die Teilgruppe, die gerade daheim vor den Bildschirmen sitzt, möglichst viel vom Lerngeschehen im Klassenzimmer mitbekommt. Ich finde den von den bayerischen Schulbehörden verwendeten Begriff „Wechselunterricht“ deutlich klarer, da er sich auf das Organisatorische beschränkt und nicht womöglich falsche didaktisch-methodische Implikationen transportiert.
Wichtig für die aktuelle Diskussion ist, dass digitale Elemente inzwischen unverzichtbare Bestandteile allgemeiner Unterrichtspraxis sind. So ärgerlich fehlende Ausstattung, nicht funktionierende Zugänge zu lizensierter Software und abstürzende Computer auch sind, dies alles sagt noch nichts über die eigentliche Qualität von Unterricht aus. Diese hängt eben nicht nur von der Methode, sondern ganz entscheidend von der „Qualität“ der Lehrperson ab. Stichworte hierfür sind „Integrität“, „eigene Lernbereitschaft“, „Rollenverständnis“, „Kommunikationskompetenz“ und vieles mehr. Dies hier auszuführen sprengt den Rahmen, deshalb sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass ich in Vorträgen, in Barcamps, bei Workshops oder als ehrenamtlicher Experte bei Hackathon #wirfürschule unter der Überschrift „Lehrpersonen als Changemaker“ meine Gedanken hierzu teile. Deshalb hier nur ganz kurz zur Erinnerung, was schon seit über 100 Jahren Merkmale „guten Unterrichts“ sind:
Hoher Anteil an echter Lernzeit, Verlässlichkeit, gegenseitiger Respekt, Verständlichkeit der Aufgabenstellungen, Plausibilität des thematischen Gangs, Klarheit und Verbindlichkeit der Ergebnissicherung, Methodenvielfalt und Methodentiefe, Freiräume und individuelle Lernstandsanalysen, gezielte Hilfestellungen, intelligentes Üben, transparente Leistungserwartungen und sinnstiftendes Kommunizieren.

Blended Learning

Der Begriff Blended Learning ist nicht mehr ganz „frisch“, scheint aber ähnlich wie der QR-Code ein gewisses Revival zu erleben. Mir gefällt an dem Begriff die inhaltliche Selbstverständlichkeit, die in Bezug auf die Mischung digitaler Technologien, altbekannter Methoden und Sozialformen ausgedrückt wird. Der vielfältige, pragmatische Einsatz unterschiedlichster Mittel steht im Dienst des Lernprozesses. Das Ergebnis zählt und nicht die Auflistung der eingesetzten Hard- und Software. Damit setzt sich der Begriff auch von dem Missverständnis mancher Mitmenschen ab, die tatsächlich behaupten, man müsse halt jetzt so gut wie möglich das Fernbleiben der Schüler:innen durch „Digitalisierung“ irgendwie zu kompensieren. Sinnvolle erste Schritte sind, dass über Schulplattformen, die den Upload von Dateien, Arbeitsaufträgen, Audio- und Videodateien, interaktiven Pinnwänden usw. ermöglichen, die Schüler:innen am Unterricht in den verschiedenen Fächern teilnehmen. Sie laden ihre Arbeitsergebnisse und digitale Artefakte (ePortfolios, Blogs, Podcasts usw.) hoch. Neben den Chat- und Messenger-Funktionen dieser Videotools hat sich für meine eigene Unterrichtspraxis sofort, seit März 2020, ein datenschutzrechtlich-unbedenklicher Messenger-Dienst als extrem wichtiges Tool herausgestellt. Hiermit kann die Lehrkraft mit einzelnen Schüler:innen asynchron kommunizieren, Kleingruppen betreuen, oder ganzen Klassen Infoschreiben (Gesundheitsamt, Schulleitung, Ministerium) zukommen lassen.
Blended Learning ist ein Hinweis darauf, dass sich das Lernen an Bildungseinrichtungen zu verändern hat, starre Stundenpläne, synchrone Kommunikation und überkommene Leistungsprüfungen werden durch neue Formen ergänzt bzw. ersetzt werden. Dies führt zu einem weiteren wichtigen Punkt, der Leistungsbewertung

Leistungsbewertung

Einerseits sind durch die Video-Tools und das Teilen des Bildschirms Präsentationen von Schüler:innen, die sog. „mündlichen Noten“ auch im Setting des Distanzunterrichts wie gewohnt zu erheben. Doch bei den schriftlichen Leistungserhebungen tun sich große Schwierigkeiten auf, die auch durch Überwachungsmaßnahmen nicht aus dem Weg geräumt werden können. Es wäre meiner Meinung nach auch geradezu abwegig, dies zu versuchen. Denn hier zeigt sich „in nuce“ (oder „in a nutshell“) ein großes Problem der Diskussion um die Digitalisierung von Bildung. Wenn man weiterhin die analoge Welt des Buches („Gutenberg-Galaxis“) zur Grundlage von Leistungsmessung und damit Fortkommen im Bildungsprozess macht und gleichzeitig die 4 K’s als oberstes Ziel einer Bildungsarbeit sieht, die der „Turing-Galaxis“ Rechnung tragen möchte, dann tun sich Abgründe auf, die mit Worthülsen und Sonntagsreden nicht zu überbrücken sind. Also das, was jahrhundertelang als Betrug bei Prüfungen angesehen wurde, wie z.B. das Nachschlagen von Informationen, das Ratsuchen bei Mitschüler:innen oder gar das Besprechen vom Problemen mit Expert:innen (z.B. der Lehrkräfte) müsste nun als völlige Selbstverständlichkeit berücksichtigt werden bei dem Konzipieren moderner Leistungsüberprüfungen. Dass die Benotung seit über hundert Jahren sehr kritisch gesehen wird, hat seine Berechtigung, auch wenn manche didaktische Wortmeldung es sich mitunter sehr einfach macht, wenn Hallo-Effekt, Gaußsche Kurve heruntergebetet und intrinsische und extrinsische Motivation etwas vorschnell zugeordnet werden. Klar ist, dass die Leistungsbewertung dringend überdacht und an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden muss.

Einblicke aus dem Unterrichtsalltag:

Padlets oder interaktive Pinnwände, wie die dargestellten „Taskboards“, erlauben einen zeitgemäßen digitalen Unterricht, weil die Lehrkraft eine vorbereitete Lernumgebung schaffen kann, in dem Audio-, Bild oder Videodateien den Schüler:innen vorab zur Verfügung stehen und kollaboratives Arbeiten sowohl in Echtzeit als auch asynchron stattfinden kann.

Während des Unterrichts, aber auch außerhalb der Unterrichtszeiten können:
– Schüler:innen ortsunabhängig ihre Arbeitsergebnisse teilen
– Schüler:innen sich Feedback geben
– Partner- oder Gruppenarbeitsergebnisse „veröffentlicht“ werden

Feedback

Wichtiger scheint hier der Begriff des Feedbacks zu sein, da bei ihm in der Fachwelt Konsens herrscht, dass dies, wenn es über eine gewisse Qualität verfügt, sehr viel sinnvoller als eine Notenziffer oder Notenpunkte ist.
Lernexpert:innen aus dem angelsächsischen Sprachraum verdanken wir die subtile Unterscheidung Assessment of learning und Assessment for learning. Hierbei wird auf etwas Wichtiges hingewiesen. In Anlehnung an John Dewey und vieler anderer in seiner Nachfolge, würde ich deshalb den Feedback-Begriff um zwei Perspektiven ergänzen wollen: das Feed-Up, verstanden als das Transparentmachen des Lernziels im Zusammenhang mit einer „Eingangsdiagnostik“ und das Feed-Forward, verstanden als das freundlich-wohlwollende, präzise und hilfreiche Rückmelden von Lernpotenzialen, zu behebenden Fehlern und passgenauen Übungsaufgaben. Das, was wir traditionell als „Note“ für etwas kennen, stellt im besten Fall ein Lernergebnis fest, in der Rückschau. Das Assessment for Learning zeigt den anstehenden Lernweg möglichst genau auf.
Dass einer der wichtigsten Verfechter dieser beiden Begriffe sich bald selbst von dem Begriff Assessment verabschiedet hat und stattdessen lieber von „responsive teaching“ spricht, führt uns zu den beiden letzten, zentralen Begriffen eines neuen, modernen und zeitgemäßen Verständnisses von Lernen. Sehr spannend und hilfreich finde ich im Zusammenhang mit qualitativem Feedback auch die neuesten Überlegungen vom Schweizer Fachdidaktiker Philippe Wampfler zum Audiofeedback, hier steckt enorm viel Potenzial. Auch sein dreistufiges schriftliches Leistungsfeedback für digitale Arbeitsaufträge, habe ich bei der Bewertung sowohl im Aufsatz- als auch im Literaturunterricht schon erfolgreich eingesetzt. Hier sehe ich konkrete Anknüpfungsmöglichkeiten, schnell entscheidbare Leistungsbewertungen in ein aufwändiges, aber wertvolles Feedback einzubauen.

Personalisiertes Lernen

Schon lange ist klar, dass angesichts der großen Heterogenität in einer Lerngruppe es nicht sinnvoll sein kann, dass alle Lernenden zur gleichen Zeit sich mit den gleichen Inhalten beschäftigen. Abhilfe kann hier das oben angesprochene professionelle Know-how der Lehrpersonen schaffen. Sie müssen personalisierte, lernförderliche Lernsettings kreieren. Das schließt einen souveränen Umgang und Einsatz verschiedenster digitaler Technologien ebenso ein wie eine wertschätzende Kommunikation, regelmäßige Rückmeldungen über den Lernfortschritt und eine sachlich umsichtige Kuratierung der Lerninhalte und gemeinsame Planung der Leistungserhebungen. Die oben angesprochenen Kompetenzbereiche wie „Kritisches Denken und Problemlösen“, „Kommunikation und Kollaboration“ sowie „Kreativität und Innovation“ haben hierbei im Vordergrund der Planung und Organisation von Lernprozessen zu spielen.

Adaptive Learning

Mit dem Begriff des Adaptive Learning kommt hier noch hinzu, dass man dabei die Lernenden bei ihrer Nutzung digitaler Lernagebote trackt. Die Lernenden können durch digital aufbereitete Lerninhalte navigieren, unterschiedlich lange verweilen und verschiedenen Lernpfaden folgen. Die Nähe zu dem mit dem personalisierten Lernen Umschriebenen ist nicht zu übersehen. Es geht um ein hohes Maß an Möglichkeit zur Selbststeuerung, um das Übernehmen von Verantwortung für den eigenen Lernprozess. Der Begriff adaptive learning impliziert aber auch, dass die Bearbeitungsdauer, das In-Anspruch-Nehmen von Hilfelernpfaden mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz ausgewertet und bei der Zusammenstellung der weiteren Lernangebote einbezogen wird. Hier ist natürlich auf die Taxonomie der Lernziele hinzuweisen. Leicht abfragbares Wissen und im Vorfeld festgelegte Lerncurricula lassen sich leichter auswerten als komplexe Lernprozesse, bei denen Konflikte innerhalb einer Lerngruppe wichtige Lernchancen bieten. Zudem sei beim Schaffen modernster Lernsettings unterstrichen, dass der ganze Bereich „Meta-Lernen“ und die vielschichtigen Anforderungen im Kompetenzbereich „Reflexion“ in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden können.

Ausblick

Das Lernen in den Bildungseinrichtungen muss sich weiterentwickeln – und zwar so schnell und so digital wie möglich. Digitalisierung darf dabei nicht als Ausstattung mit Hard- und Software und PDF statt Arbeitsblatt verstanden werden, sondern muss als grundlegender Paradigmenwechsel begriffen werden. Der Begriff der Kultur der Digitalität und das Dagstuhl-Dreieck seien hier nur als Hinweise für eine weiterführende Diskussion genannt. Und das themenzentrierte Lernen, das durch extrem hohe Relevanz für alle Kompetenzbereiche große Vorteile gegenüber einem noch so sorgfältig aufgebauten Fächer-Curriculum bietet, muss in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Außerdem muss der systemische Blick die Weiterentwicklungsarbeit leiten, denn 20 Jahre eigene Schulentwicklungsarbeit und die Erfahrungen mit der ThemenZentriertenInteraktion haben mich gelehrt, dass Widerstand gegen Veränderung verschiedenste Erscheinungsformen haben kann und dass man stets eine dynamische Balance zwischen der persönlichen Weiterentwicklung jeder einzelnen Lehrkraft, der Teamentwicklung in den Kollegien und der Organisationsentwicklung der Institution „Schule“ anstreben muss. Und dies alles in einem „Globe“, der durch seine Rahmenbedingungen vieles vorgibt und festlegt, aber auch Möglichkeiten für Freiräume schaffen kann.
Wir sollten jede Chance nutzen, das Lernen auf das nächste Level zu heben.

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