7 Fragen zum...WHO Report "Digital education for building health workforce capacity" / StellDirVor

Vor wenigen Tagen wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein aktueller Bericht zur Digitalisierung der Bildung im Gesundheitswesen veröffentlicht (Originaltitel: „Digital education for building health workforce capacity“). Dies haben die StellDirVor Teammitglieder Petra Dahm (Expertin für Digitalisierung, Change und neue Technologien) und Christian Stähler (Pädagoge und Lernexperte) als Anlass für ein kurzes Expertengespräch genutzt:

Die „Digital Readiness“ von Trainees, Lehrern, Organisationen, dem Gesundheitssystem und Staat wird im Report als eine der größten Barrieren bei der Implementierung digitaler (Lern)-Methoden und Tools gesehen. Deckt sich dies mit den Erfahrungen die StellDirVor gemacht hat?

Petra Dahm: Wir haben in den letzten Monaten mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Hierarchien und Bereichen des Gesundheitswesens gesprochen um zu verstehen, warum der Grad der „Digital Readiness“ – vor allem auch im Verhältnis zu anderen Branchen und Ländern – hierzulande so niedrig ist und welche Schritte notwendig sind, um den Grad zu erhöhen. Die Herausforderung ist, dass Menschen, die die Entscheidung für einen Beruf im Gesundheitswesen fällen, sich in erster Linie auf eine Verbesserung der Hilfe für Menschen konzentrieren – digitale Themen sind hier primär nicht im Fokus. Dazu kommt, dass aufgrund fehlender zeitlicher und personeller Ressourcen Digitalisierungsprogrammen in der Organisation meist keine Zeit eingeräumt werden kann.

Wo setzt StellDirVor an, um die Digital Readiness zu verbessern?

Petra Dahm: Verbunden mit der aktuellen Situation, dass zum Beispiel alleine im Bereich der Pflege aufgrund der Demografie bis zum Jahr 2030 ein Drittel der Pflegekräfte in Ruhestand tritt und demgegenüber die Rekrutierung des Nachwuchses aufgrund vielfältiger Faktoren nur sehr schleppend vorangeht, kann auf die Umstellung auf digitale Methoden nicht länger verzichtet werden. Diese Erkenntnis kommt auch langsam (derzeit durch COVID-19 forciert) verstärkt in der Praxis an. Zum einen werden junge Kräfte eine ausreichend digitalisierte Infrastruktur auch als Eintrittsentscheidung fordern und zum anderen lassen sich vor allem in den Bereichen der Prozessoptimierung und der Wissensvermittlung mit digitalen Tools schnellere Erfolge erzielen. Hier werden wir von StellDirVor ansetzen. Unser Ziel ist es, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, Situationen individuell zu bewerten und Organisationen „gesund“ zu digitalisieren, d.h. sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, die Ressourcen schonen und die Menschen in den Mittelpunkt stellen.

Junge Leute für Berufe im Gesundheitswesen zu gewinnen, nachhaltig zu motivieren und diese zu halten ist ein global auftretendes Problem. Wie kann dieses Ziel erreicht werden – und welchen Beitrag können Innovation und Wissensvermittlung hier leisten?

Petra Dahm: Wie in jedem Beruf wird es künftig darauf ankommen, sich auf die Anforderungen der jungen Menschen einzustellen, um sie zu begeistern und zu halten. Auch für die Gruppe derer, die sich jetzt als Schulabgänger beruflich für die Gesundheit des Menschen einsetzen wollen, gilt dass es so genannte „Digital Natives“ sind, d.h. sie sind gewohnt mit digitalen Mitteln zu kommunizieren und sie entsprechend einzusetzen. Darauf müssen wir reagieren – vor allem auch hinsichtlich der Aus- und Weiterbildung. Darüber hinaus werden wir uns auf eine zunehmende allgemeine Komplexität einrichten müssen – die letzten Jahre haben gezeigt, wie schnell sich Technologien entwickeln und ablösen, die letzten Monate, wie schnell neue Rahmenbedingungen gelten können.

Christian Stähler: Wichtig ist auch, dass die Lehrpersonen bei der Einführung neuer Lehrmodelle und beispielsweiser digitaler Lerntechnologien nicht außer Acht bleiben. Wie Petra schon sagt sind viele (potentielle) Berufsanfänger „Digital Natives“ und darauf sollten Lehrkräfte im Sinne eines „Train the Trainer Ansatzes“ entsprechend vorbereitet werden. Zum anderen steckt in digitalen Tools ein unglaublichen Potential, nicht nur zur Motivation, sondern auch zur Bindung von jungen Berufseinsteigern. Wissensvermittlung könnte künftig sehr viel individueller und adaptiver werden – und somit auch das Potential eines jeden Individuums voll ausgeschöpft werden.

Um ein ideales Lernsystem zu schaffen sollten laut WHO-Report globale, systemische, organisationelle und individuelle Faktoren betrachtet. Deckt sich dies mit der Sichtweise von StellDirVor?

Christian Stähler: Ja, auf jeden Fall. Unsere Lern- und Lehransätze basieren auf dem Konzept der Themenzentrierten Interaktion (TZI). Wir betrachten somit immer ein Konstrukt, in dem sich das Individuum, die Organisation und die Lerninhalte befinden. Beim Einsatz immersiver Technologien, wie z.B. Virtual Reality, werden diese Faktoren noch entsprechend erweitert.

Wissenserwerb vs. Praktische Kompetenzen: was ist wichtiger und wie wird digitale Bildung beidem gerecht?

Christian Stähler: Beides ist gleich wichtig! Letztendlich wird es in Zukunft wichtig sein, die Wissensvermittlung individueller, interaktiver und zielführender als bisher zu gestalten – und diese dann durch praktische Anwendung in nachhaltige Kompetenzen umzuwandeln. Hier sehe ich vor allem Virtual Skills Labs als sehr zukunftsweisend. Basierend auf Virtual Reality Technologien können virtuelle Räume und realitätsnahe Szenarien simuliert werden, in denen Praxis-Trainings stattfinden können – und das unabhängig von Ort und Zeit.

Im Blended Learning werden z.B. klassische Lehrmethoden und -mittel mit digitalen kombiniert. Aus eurer Sicht ein sinnvoller Weg?

Petra Dahm: Blended Learning wird bereits in anderen Berufen sehr erfolgreich angewendet und hat sicherlich auch im Gesundheitswesen seine Berechtigung. Allerdings berücksichtigt Blended Learning vorrangig „nur“ die Möglichkeit, verschiedene Formen der Wissensvermittlung in Anspruch zu nehmen. Was mir persönlich hier noch fehlt ist die Möglichkeit einer Berücksichtigung der individuellen Lernvoraussetzungen einer Person und zusätzlich der Möglichkeit, dass sich Lernprogramme diesen individuellen Voraussetzungen und daraus resultierenden Lernfortschritten anpassen. Ich sehe für die Zukunft ein individuelles, adaptives Lernen unterstützt durch Künstliche Intelligenz, die mich als Lernenden optimal unterstützt und mit dem Wissen versorgt, das ich aktuell benötige.

Was sind aus eurer Sicht die „Top 3“ Zukunftstrends für digitale Bildung im Gesundheitswesen?

Petra Dahm:

  1. Interdisziplinäres Lernen im Team: Abbau von Vorbehalten, gegenseitiges Verständnis, Möglichkeit von Perspektivenwechseln
  2. Fallbezogenes Lernen im SkillsLab – künftig umgesetzt als Virtuelles SkillsLab um Ressourcen zu schonen und Remote-Lernen in der Gruppe zu ermöglichen
  3. Lernen mit Technologien wie Virtual und Augmented Reality für einen hohen Praxisbezug und „lebensechtes“ Lernen in der Simulation (z.B. Lernen aus Fehlern)

Christian Stähler:

  1. Lebenslanges Lernen, das vor allem auch viel „informelles Lernen“ beinhaltet, was aus bisherigen Rahmen ausbricht
  2. Größere Bedeutung von Lernprozessen, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ermöglichen
  3. Orts- und zeitunabhängige, allgegenwärtige Verfügbarkeit hochwertiger Bildungsangebote

 

Wie kann das Gesundheitswesen den Weg in die digitale Zukunft meistern?

Petra Dahm: Um die Zukunft des Gesundheitswesens zu sichern, ist es wichtig so schnell wie möglich neue Ideen und Ansätze mutig zuzulassen – vor allem auch als positives Zeichen für neue Generationen. Durch unseren engen Austausch mit internationalen Partnern wie Universitäten, Forschungseinrichtungen und Gesundheitsorganisationen wissen wir bereits heute um den möglichen Erfolg digitaler Lernstrategien und Prozesshilfen. Moderne Technologie ermöglicht uns diesen Austausch – sowohl auf globaler wie auch interdisziplinärer Ebene. Wir wollen über diese Entwicklungen informieren und dafür sorgen, dass digitale Innovationen einen festen Platz im deutschen Gesundheitswesen einnehmen.

Vielen Dank für das Gespräch und eure Zeit!

Gerne tauschen wir uns auch mit Ihnen zur digitalen Wissensvermittlung im Gesundheitswesen aus.

Diesen Beitrag teilen auf: